9. Juli 2010

Seele strömen lassen
Nach-Gefühle, zu späte Reaktionen, seelenträge …

Bei Fernfahrten mit meiner Vespa, achtzig Stundenkilometer schnell auf der Autobahn, habe ich es das erste Mal gespürt. Seither weiß ich: Die »Seele« ist langsam, höchstens auf Wanderungen zu Fuß eingestellt. Meist bin ich schon längst vorbei, wenn mir die richtige Reaktion einfällt. Zu spät; Umkehren geht meist nicht im Leben. Seelen-»Schlagfertigkeit« müsste ich trainieren. Vielleicht kann man das lernen wie man lernt, einen Ball zu fangen, zurückzuwerfen.

Gestern ist mir’s wieder passiert, in meinem Lebensmitteleinzelhandel, einem Studienort für sozial Gebranntes. Als ich in den Laden kam und mir einen Einkaufswagen angelte, saß da eine junge Frau auf den Europaletten, die den Eingang zierten. Die Bierflasche hatte sie neben sich. Und sie hat jeden angequatscht, nicht unfreundlich, und doch lästig. Am Betteln war sie nicht, nur mitteilungsfreudig, wie man das leicht angetrunken eben ist.

Heute habe ihre Tochter Geburtstag, sagte sie mir unvermittelt, und ob sie sich deshalb schämen müsse. Na ja, sagte ich, dem hauptsächlich das Bier aufgefallen war, wer zu so früher Stunde am Bier hänge, der könne sich wohl schämen. Eine Kerze wäre passender. Ihre Tochter sei nicht bei ihr, bei ihrer Oma, sagte sie noch, bevor ich mit dem Wagen durch die Sperre verschwand. Ich hab’ ihr gar nicht weiter zugehört, ging einfach weg.

Ein bisschen Zeit hätte ich ja gehabt. Wär’s die Nachbarin gewesen, ich hätte zwei Minuten mit ihr übers heiße Wetter oder Fußball geredet, wir hätten das Gespräch dann zivilisiert beendet, basta.

Zur jungen Mutter, die hier allein ohne ihre Tochter deren Geburtstag feierte, wusste ich nichts zu sagen. Wie alt wird die Tochter denn? Wo ist sie bei der Oma? Oder einfach nur: Gratuliere!

Weniger urteilen sollte ich, mehr leben. Weniger mich ärgern über all das, was ich nicht ändern kann, mehr nichts tun in der Seele und sie offen lassen, strömen lassen.

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