9. Dezember 2011

Die Welle – eine Schultheateraufführung im Beethovengymnasium Bonn

Der früher gemobbte Robert Billings (Thomas Karetzki), links, mit Armbinde ist er zum Vorreiter der Bewegung geworden. Rechts »Lehrer« Ben (hier Bonny) Ross (Lena Stemkowitz), dazwischen die Schulklasse gespielt von – v.l.n.r. –: Thomas Karetzki, Yunus Özkan, Jasmin Genc, Sophie Schnell, Valentin Schröder, Florian Schmidt, Nicole Frencesco, Ronja Keuchel, Maria von Kohout, Janna Stremmel, Maike Kaßenbrock, Liza Idris und Frida Schöck. Auf der Tafel: »Disziplin« (Bilder klickbar, zwei kurze Videos über http://www.youtube.com/playlist?list=PL7D2D7D14A9A74017)

»Die Welle« war angesagt in der Schule. Für die Welle wurde geworben – als ob diese Übung für eine Schüleraufführung zu exotisch wäre, zu wenig Theater versprechend. Nur zwei Aufführungen sind geplant. Schon zur ersten kamen rund 250 Leute – Eltern, Schüler, Lehrer, Theaterfreunde.
···Wer »Die Welle« nicht kennt: ursprünglich ein amerikanischer Roman aus dem Jahr 1981. Er beschreibt das Experiment eines Erdkundelehrers von 1967, in einer Highschool in Palo Alto die »Welle« als »Bewegung« analog zur »Bewegung« des Nationalsozialismus’ aufzubauen: Disziplin, Gruppengeist, Embleme und Hymnen – und bald einmal Totalitarismus, gar Antisemitismus. Am Ende muss er die Notbremse ziehen. Mehr zu Plot und Ausgang auf der Wikipedia: http://de.wikipedia.org/wiki/Die_Welle_%28Roman%29, dort auch der Hintergrund.
···Das Stück ist kritisch, ist in doppeltem Sinn historisch. Gerade der ernste Inhalt, die Eskalation mit unbekanntem Ausgang, macht es gut spielbar – wenn man den Mut hat dafür. Es lebt aus sich selbst, ist so spannend, dass die Darstellungsoberfläche nicht entscheidend ist. Dennoch: Kostüme, Auftreten, Auswahl der Figuren, das knappe Bühnebild waren hervorragend bis brillant. Nie wurde die Illusion des Geschehens von Brüchen oder Schnitzern gestört, wie man sie von Schüleraufführungen kennt (sieht man ein einziges Mal von ein bisschen nötiger Soufflage ab, eher erheiternd und lockernd als hinderlich.) Der offene Vorhang (verklemmt?) hat nicht gestört.
···Den historischen Lehrer, Ben Ross, spielt mit Kraft und Empathie als »Bonny Ross« wohl eine Schülerin (Lena Stemkowitz), seine – hier ihre – Frau Christie ist freilich wieder eine Frau – vielleicht hätte die Regie das Paar besser als Geschwister hingestellt als als Ehepartner, so verwirrt das unnötig.

Ein mickriger Schüler, Robert Billings, wird zum beinahe nicht wieder zur Besinnung zu bringenden Göbbels der Bewegung, wunderbar passend vom schlanken Thomas Karetzki gespielt, einem Schauspieltalent. – Hier wieder links im Bild mit in der Mitte Leherer(in) Bonny Ross (Lena Stemkowitz) und rechts Christine Ross (Luise Sarfert).
···Wer das Stück aus anderen Aufführungen kennt, wer vergleichen kann, möge weiter beurteilen. Wir waren heute nur gebannt, gebannt vom Bühnegeschehen, vom Ernst des Geschehens – und haben dazwischen und danach ausgiebig applaudiert. Ein Stück, das den Atmen nimmt, goutiert man nicht wie einen Sommernachtstraum. Zum Nachdenken also.
···Mir erscheint das Experiment bereits historisch, obwohl erst aus den Achtzigerjahren. Und es bezieht sich auf ein noch historischeres Geschehen. Gut und recht und lehrsam. Wenn ich für mich weiterdenke, wenn ich mir die Welt so ab Jahrtausendwende ansehe, dann habe ich hier keine Angst vor einem neuen Totalitarismus. Die gedankenlose Nachlauferei geschieht nicht hinter »Bewegungen« mit Führern (selbst »Occupy!« weiß nicht, was es will). Kuscheln in der Wolke ist angesagt hinter Lobbygruppen, hinter Meinungsmachern, Gutmenschen und politischen Korrektheitsaposteln. Wie damals ist vielen das eigene Denken zu mühsam. Sie lassen sich von Medien und Politik, von Meinungsmachern und selbsternannten Fachleuten in Schattenreiche schnell gefasster Emotionen und Mitmeinungen entführen. Gerechtigkeit wird zum Slogan, Neid zum inneren Öfchen, an die »Realwirtschaft« denkt keine Sau mehr. In Scharen rennen die Leute zu aufgebauschten Gefahren hin und weg, und vergessen darüber ihren normalen Menschenverstand. Professionelle Wortschöpfer umgeben uns mit potemkinschen Dörfern; nur ein Beispiel: Unsere »rigorose Sparpolitik« will »Eckwerte zum Bundeshaushalt beschließen, die einen Abbau der Neuverschuldung auf 31,5 Milliarden Euro im Jahr 2012 und auf 13,3 Milliarden im Jahr 2015 vorsehen.« (Quelle) – Wir halten diesen Staat für sparsam, weil er ausnahmsweise weniger mehr zusätzliche Schulden macht als üblich, ohne je eine Erklärung, wie er uns seine Schulden überhaupt zurückzahlen will. Keine Hausfrau, die sich für ihre Hobbys Monat für Monat mehr Geld leihen muss und immer tiefer in der Kreide steht, hätte die Chuzpe, auf ihrem AAA-Rating zu bestehen.
···Die Gefahr für die Demokratie, ja für unser Wohlergehen, sind heute »Bewegungen«, vielleicht nicht mehr nach Art der »Welle«, doch um so mehr vom korrekten, angepassten, unkritischen (oder schön scheinkritischen) Nachlaufen hinter Gruppeninteressen. Auf einmal sind wieder die Banker die Juden, obwohl wir alle gieren nach Geld und Geiz und lange schon wohlig leben in der Schuldenwirtschaft unseres »Gemeinwesens«. Am Ende waren dann wieder die anderen schuld.

»Die Welle«, Schulaufführung am Beethovengymnasium Bonn, Donnerstag und Freitag, 8. und 9. Dezember 2011. Bonny Ross: Lena Stemkowitz, Christie Ross: Luise Sarfert, Schuldirektorin Owens: Giorgina d’Urso, Robert Billings: Thomas Karetzki, Laurie Saunders: Ronja Keuchel, David Collins: Florian Schmidt, Brad Marlowe: Yunus Özkan, Brian Ammons: Valentin Schröder, Andrea White: Maike Kaßenbrock, Amy Smith: Maria von Kohout, Alex Cooper: Linus Domiter, Andy Block: Janna Stremmel, Janet Baker: Liza Idris, Statisten: Jasmin Genc, Nicole Frencesco, Sophie Schnell. Bühnenbild: Sarah Blascyk, Andreas Schindele, Technik: Falk Glass, Jan-Christoph Pape, Florian Schurz, Andreas Schindele, Wellensymbol: Giorgina d’Urso, Trailer: Rebekka Steinhaus, Musik: Richard Wagner, »Kinder« der Band Panik, Leitung: Sarah Blasczyk, Inge Mosenbach-Kaufmann, Luise Sarfert, Andreas Schindele, Lena Stremkowitz. Roman von Morton Rhue, Theaterbearbeitung von Reinhold Tritt.
···Korrekturen bitte direkt an Fritz@Joern.De. War schnell geschrieben …
Zwei kurze Videos über Zwei kurze Videos über http://www.youtube.com/playlist?list=PL7D2D7D14A9A74017

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