23. Oktober 2013

Urheberrecht – ein Brett vor dem Kopf

Wieder einmal bin ich darauf gestoßen. Bei einem Foto der römischen Eifelwasserleitung in der Wikipedia, von einem unbekannten Wohltäter »selbst fotografiert, selbst erstellt«, fand ich diesen kuriosen, grünen Eintrag:
»Der Urheberrechtsinhaber dieser Datei hat ein unentgeltliches, bedingungsloses Nutzungsrecht für jedermann ohne zeitliche, räumliche und inhaltliche Beschränkung eingeräumt. Bei der Einräumung dieses Nutzungsrechtes ist nur der wirkliche Wille des Urhebers und nicht der buchstäbliche Sinn des Ausdrucks erheblich. Daher wird dieses Nutzungsrecht insbesondere auch bei der rechtlich in Deutschland nicht möglichen Überhabe durch den Urheber in die Gemeinfreiheit bzw. Public Domain angewendet.«
   Also kann einer, selbst wenn er will, sein »Werk« nicht der Gemeinschaft schenken? Egoismus als Rechtsprinzip.
   Sehen wir uns also bei der Gemeinfreiheit um. Dort finden wir diese aussagestarke Grafik

Die verschiedenen Formen der Immaterialgüterrechte; der Raum außerhalb entspricht der Gemeinfreiheit.
Ist dieser Außenraum der Gemeinfreiheit nun besonders groß oder nur dünne Kruste? – Leider wird Gemeinfreies, also Immaterielles, das allen »gehört«, immer weniger und weniger statt, wie sich’s für eine fortschreitende Gesellschaft gehörte, immer mehr. Demnächst wird noch das Einmaleins von einem Schulbuchverlag beansprucht werden, was dann nicht Lobbyismus sonern eine »Schutzrechtsberühmung« wäre. Entscheidend ist dieser Absatz im Stichwort Gemeinfreiheit:
   »Die herrschende Meinung sieht einen Gleichrang von Gemeinfreiheit und Immaterialgüterrechten und strebt daher ein ausgewogenes Verhältnis zwischen beiden an. Rechtsdogmatisch wird dagegen das Regel-Ausnahme-Verhältnis vorgebracht, nach dem die Gemeinfreiheit Vorrang genießt, ›die erstmalige Gewährung von Immaterialgüterrechten ist rechtfertigungbedürftig.‹« – Wie so oft stehe ich hier gegen die herrschende Meinung, bin ausnahmsweise Kommunist: Es sollte möglichst viel möglichst vielen zugänglich, sprich frei für’s gemeine Volk sein.
   Am Schlimmsten ist die Geschichte bei »verwaisten Werken«: »Auch wenn einem in Verlagspublikationen der Hinweis, man habe trotz aller Sorgfalt Nutzungsrechtinhaber nicht ermitteln können … begegnet, stellt eine Nutzung ohne Zustimmung der Rechteinhaber bis zum 1. Januar 2014 in Deutschland eine Urheberrechtsverletzung dar.« Danach gelten angeblich europäische Regelungen, Richtlinie 2012/28/EU, ein Wortschwall von über 5000 Wörtern, den ich mich weigere durchzulesen. Was gewiss Absicht war, um all dies Kleingedruckte zu kaschieren und die Rechtsunsicherheit weiter zu erhöhen. »Anders als in den USA … wurde das Problem, obwohl es erhebliche praktische Relevanz hat, in Deutschland in Erwartung einer EU-Richtlinie national zunächst kaum diskutiert.« Hauptsache, wir müssen uns nicht drum kümmern. Und wundern uns dann über Lobbys und die EU.
   Ein ORF-Beitrag von Erich Moechel aus dem Sommer 2012 schätzt, dass ein Drittel aller Bücher zwischen 1870 und 2010 verloren gehen werden, und schreibt:
   »Um eine Ahnung vom Ausmaß dessen zu vermitteln, was binnen weniger Jahrzehnte aus der Öffentlichkeit verschwinden wird, gibt eine Untersuchung der British Library. Von 140 repräsentativ ausgewählten Büchern aus allen Genres, die zwischen 1870 und 2010 erschienen sind, konnte bei 43 Prozent davon nicht mehr ermittelt werden, wer derzeit noch die Rechte daran hält. Auf den Gesamtbestand gerechnet bleiben immer noch ein Drittel aller Werke übrig, die Rechtefragen offen lassen.« Dazu bringt er noch ein Beispiel aus der Praxis, hanebüchen.
   Ich meine, wir mauern die Hälfte unserer Bücher, Filme, Bilder etc. auf immer ein. Weg sind sie. Wie nach einer Bücherverbrennung. Geistiges kommt nur mehr aus Solarzellen. 
Bücherverbrennung am 10. Mai 1933
durch die Deutsche Studentenschaft
am Opernplatz in Berlin.
  Welche gemeinen – also nachgerade böswilligen – Eigeninteressen in der ganzen Urheberrechterei vs. Gemeinfreiheit liegen, bringt Moechel am Beispiel von Karl Valentin: »Die Anwälte der Nachlassverwalter wollen nach eigenen Angaben, dass für das Verwenden eines der surrealen Aphorismen des Münchener Komikers Nutzungslizenzen gelöst werden. Man könne sich eine Jahreslizenz von 250 Euro für die Nutzung eines Sinnspruchs vorstellen, hieß es seitens der Anwälte gegenüber dem Westdeutschen Rundfunk.«
   Da sind wir von der Georg-Britting-Stiftung doch rein gemeinnützig; stellen alle seine Werke ins Netz und verlangen nur bescheidene Lizenzen, wenn jemand daraus veröffentlichen will.

Link zu diesem Eintrag: http://blogabissl.blogspot.com/2013/10/urheberrecht-ein-brett-vor-dem-kopf.html

PS. Hingegen nimmt sich’s der allgute Staat wieder einmal heraus: »Zu Zwecken der Rechtspflege und öffentlichen Sicherheit können alle urheberrechtlich geschützten Werke in Deutschland verwendet werden.« Zudem sind »amtliche Werke«, die wir Gemeinen ja schon bezahlt haben (oder vielleicht werden), sehr sehr gerne nicht gemeinfrei. Man sehe sich dort die Diskussion an, und dann gibt man’s auf ...

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