31. Dezember 2015

Liebling gendergerecht?

Cethosia cyane
Nachdem »Flüchtlige« als politisch inkorrekt befunden wurden – 1. männlich und 2. dank -ling abschätzig – habe ich mich einmal in diesem Geist in Musik und Sprache umgesehen.
   Als erstes fällt auf, dass in den vorherrschenden Schlagern (heute wohl »Titel« genannt) allenthalben ein baby besungen wird, meist besitzergreifend sogar my baby. Das geht natürlich gar nicht.
   Die Rolle der Frau – ist doch gemeint, oder? – wird künstlich verkleinert, sie wird als hilfloses Kleinkind hingestellt, gehörig irgendeinem Lover. Igittigit!
   Liebling. Siehe Flüchtling, vermiesend, despektierlich, wie Engerling oder Schmetterling. Gendertechnisch eingeschlechtlich männlich, selbst wenn ein Fräulein gemeint ist.
   Schatz. Eine kapitalistische, neo-liberale, noch dazu männliche Fehlbenennung.
   Schätzchen. Schlimmer noch, diminuiert! Im Englischen darling. Überall diese Verkleinerungen, die Rolle der Frau schmälernde Bezeichungen, nachgerade sexistisch.
   Hase. Wird auf Männlein und Weiblein gleichermaßen angewandt. Eine politisch gänzlich unmögliche Verviehung, samt intellektueller Herabsetzung. Nicht einmal Häsinnen haben in NRW Abitur; und in Pisa schon gar nicht.
   Mädchen. Klingt zunächst wertneutral, ist aber scheinheilig abwertend: Verkleinerung, sächlich.
Ich könnte fast endlos weiter politisch im Trüben fischen. Genug.

Siehe auch http://blogabissl.blogspot.com/2015/12/abschied-von-der-sprachgesellschaft.html 

Link hierher:
http://blogabissl.blogspot.com/2015/12/liebling-gendergerecht.html

27. Dezember 2015

Bei Skype neu anmelden

So oder so ähnlich schaut das Anmeldebild aus.
"Sign in" oder "Anmelden" ist nicht klickbar. Was tun?
Hab' auf meinem neuen Kleinrechner Skype ganz frisch installiert.
   Der Anmeldebildschirm (hier rechts) erscheint, natürlich deutsch.
   Das Feld "Ein Konto erstellen" ist das einzig klickbare, das Feld "Anmelden" bezw. "Sign in" ist nicht klickbar. Mit meinem üblichen Skype-Konto kann ich mich scheinbar nicht anmelden.
   Das ist ein Missverständnis. Die Felder "Skype-Name" (oberstes) und "Passwort" (drunter) erscheinen nicht wie übliche Felder mit freiem Platz zum Eintippen, sind das aber.
   Also: Erst die Felder Skype-Name und Passwort ausfüllen, dann geht auch Anmelden (sign in).

Dieser Tipp auf http://blogabissl.blogspot.com/2015/12/bei-skype-neu-anmelden.html

24. Dezember 2015

»Mein Kampf«

Titel der Erstausgabe, s. https://de.wikipedia.org/wiki/Mein_Kampf
Lesen werd’ ich das Buch wohl nicht. Ein Jürg Keller*) kommentiert den Artikel, auf den ich hier hinweisen möchte, so: »Ich habe in Hitlers Buch ausgiebig geschnuppert und es dann als ›completely unreadable‹ zur Seite gelegt.«
   Das glaube ich wohl und bezweifle, dass die Leute damals »Mein Kampf« wirklich gelesen haben. Schon gar nicht mit diesem Rückblick, den wir heute haben.
   Der sehr kluge Artikel von Barbara Zehnpfennig aus Passau über Hitlers Buch kommt zur Frage: »Wie aber kann man ein Denken aus der Welt schaffen? Der Glaube, dies durch die Ermordung der Menschen zu erreichen, die man für die Träger des Denkens hält, ist sicher die furchtbarste Variante des Kampfes gegen Gedanken.«
   (Man lese auch die Kommentare zum NZZ-Artikel.)


Link:
Neue Zürcher Zeitung: Spurensuche in Hitlers Buch «Mein Kampf». Anleitung zur Welteroberung.
   von Barbara Zehnpfennig

*) vermutlich Dozent Prof. Dr. Jürg Peter Keller

Link hierher: http://blogabissl.blogspot.com/2015/12/mein-kampf.html 

22. Dezember 2015

»Gut gemeint, aber der Papst irrt.«

Bild aus den genannten Artikel
Ein Gastkommentar von Hernando de Soto am








Der Stromdieb in der Fassung

Licht am Arbeitsplatz?
Ersteinmal muss Strom her, hier von oben
Im Bild die Nachrichtenabteilung des Schweizer Militärs im Ersten Weltkrieg, aus dem schönen Artikel »Dechiffrieren für die Mittelmächte«. Das waren Deutschland, Österreich und Verbündete; mehr im Artikel.
   Ein Detail fällt mir auf im Bild: die elektrischen Zuleitungen zu vermutlich zwei Stehlampen. (Was wie ein Radioapparat aussieht, sind ein Stapel Bücher.)
   Zuerst gab’s Gas in die Häuser, u. z. zur Beleuchtung. Wie dunkel es überall gewesen war um die letzte Jahrhundertwende, ich meine, wir können uns das gar nicht vorstellen. Als Allererstes sollte Licht her, und das nicht nur aus stinkenden und gefährlichen Karbid- und Pe­tro­le­um­lam­pen, sondern von einem Glühschlauch oben am Plafond. So haben heute noch alte Häuser in der Mitte der Zimmer von oben her ein Rohr, das längst nicht mehr gebraucht wird – höchstens zum Anhängen eines Lusters.
Strom aus der Deckenlampe,
in Madagaskar mit Bajonettverschluss,
Schukostecker reingewürgt …
   Nach dem Gas kam alsbald der noch bequemere Strom: Den konnte man an einem Drehschalter hoch oben an der Tür bequem ein- und ausschalten. Steckdosen brauchte es weiter nicht. Das Licht von oben genügte. Kü­chen­ma­schi­nen und elektrische Zahnbürsten waren noch nicht üblich, Radios kamen erst langsam in die gehobenen Haushalte. Strom diente nur – in schwacher Form – dem Herbeirufen des Stubenmädels.
   Wer also trotzdem »unten« Strom brauchte, und äs­the­tisch nicht zimperlich war, holte ihn sich von der Lampenfassung. Die Dinger gibt’s noch heute, antiquarisch, teuer. Man braucht nur nach Lampenfassung Stecker zu googeln.
   Hier ein besonders schönes Exemplar: »Die Schraub­steck­dose wurde früher auch als ›Stromdieb‹ bezeichnet. Sie ermöglichte den Verbrauch von sogenanntem ›Lichtstrom‹ für andere Zwecke ohne Bezahlung.« Meint Franz Rendl, hier, vom technischen Museum Wien.
   Noch bis in die Fünfzigerjahre gab es im Haushalt zwei Stromkreise: für Licht- und für Kraftstrom, billig und teurer. Natürlich haben die Leute da für einzelne Abnehmer Querverbindungen geschaffen. Bei uns hatte Kraftstrom breitere Stecker, bei Lichtstrom war der Abstand der Kontakte wie üblich. (Ich wüsste gerne, wer sich diesen Abstand von 17,5 mm ausgedacht hat, der – außer in Amerika – seit über hundert Jahren gilt.)

Weitere Links
 »Kellerfassung« 
 Blog »Dreifachstecker« bei mir

PS. Ein Techniker der Stadtwerke, der jüngst meinen Stromzähler austauschte, berichtete von ziemlich häufigem Stromklau bei mechanischen Zählern, ein Bericht z. B. hier.

Link hierher:

Besucherzaehler

17. Dezember 2015

Morning Glories, a fascisty comic

From https://en.wikipedia.org/wiki/Morning_Glories
»Morning Glories« is quite famous and – looking at the Internet – highly praised. It’s about high school kids, and it’s flashingly well designed.
   So I bought a compilation of Morning Glories #1-38, ISBN 978-1-63215-213-8, for my daughter and me.
   Then I tried to read it. I got to the end. I understood little or nothing. I’m facinated with all its phantasy, the pictures – but I felt horror from all the coldblooded killings, the fascist emotions.
   In the Internet I found no critique, just praise for the very successful series. Personally I think it’s rather fascist: a superpersonal goal, that’s to be reached without any mercy or empathy. The end justifies the means. Plus the end is nebulous.
From http://comicsalliance.com/morning-glories-nick-spencer-interview/
   So I didn’t give the book to Carla. She doesn’t like comics half as much as myself, anyway.
Morning Glory, Ipomoea purpurea

Various Links:
https://en.wikipedia.org/wiki/Morning_Glories
http://comicsalliance.com/morning-glories-nick-spencer-interview/
http://www.brokenfrontier.com/season-two-finally-how-the-second-season-of-morning-glories-has-been-playing-games-with-its-audience/
• German: http://www.comicshop.de/advanced_search_result.php?keywords=Morning+Glories&x=0&y=0
https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_gefl%C3%BCgelter_Worte/D#Der_Zweck_heiligt_die_Mittel
https://de.wikipedia.org/wiki/Morning_Glory steht für …

Permalink:
http://blogabissl.blogspot.com/2015/12/morning-glories-fascisty-comic.html

16. Dezember 2015

Abschied von der Sprachgesellschaft

Ein Abschied
Sprache wandelt sich, und wir uns in ihr. Ich liebe Sprache, Sprachen. Sprache macht sichtbar, Sprache begründet, hat Tiefe, jedes Wort Geschichte.
   Wegen den Vornamen – ja, stur, den und nicht der Vornamen – bin ich nach der Geburt unseres ersten Kindes in den Neunzehnhundertsiebzigerjahren der Gesellschaft für deutsche Sprache beigetreten. Bald hatte ich dort Freunde, verliebte mich sogar ein wenig, wurde meinem Füller untreu und betrog ihn mit jungen Laptop-Tasten. Die Rechtschreibreform war damals groß angelegt und sehnte sich politisch nach kleinschreibung, und dann ist davon doch nur offen sichtlich dass statt daß geblieben, auch nicht schlecht. Doch der Reihe nach.
   Eher unbeobachtet ändern sich ganze Sätze, baulich, weil das ist bequem. Hohe Sprachlichkeit ist hauptsächlich lang und schwebend, »Hochsprache« passé. Dazu fällt mir gleich »das Licht unter dem Eimer« ein, wobei man – ob Scheffel oder Eimer – ersteinmal nicht versteht, wozu Licht irgendwo hingestellt werden soll? Mein Süddeutsch mit den Ebenen Dialekt und »Schrift« ist von nördlichen Medienanstalten, Bild und öffentlichrechtlichen, ja sogar von Sprachvereinen inzwischen marginalisiert worden. Der Duden schreibt Spaß vor, sprich Spahs, südländischen Spass, reimend auf lass, hammer gar nimmer (höchstens in Österreich).
Aus »Dachdecker« wird »Bedachungen«.
   Um Grammatik kümmern sich wenige; dafür desto mehr um Wörter. Die fallen auf. Da wird konnotiert, dass es donnert auf den Sprach­bal­ken. Kam es früher darauf an, dass die Leser (heute semantisch der Leser) ver­stan­den, was man sagen wollte, werden heute Vorurteile transportiert, Kon­no­ta­tio­nen. Wörter, die mir einen Schauer den Rücken hinunterlaufen ließen, wie Reichskristallnacht waren plötzlich verharmlosend, treffender war ein Pogrom. Nicht mich, ich schrieb das lange noch mit r, Progrom, und fand’s in keinem Lexikon. Um drastisch beim Thema zu bleiben: Ju­den­ver­ga­sung klang wohl nicht brutal genug, 1978 muss­te der Holocaust her, ein neues Wort, in­zwi­schen schon wieder verharmlosend.
   Genug Drastisches. Selbst Harmloses wie ein Dach­decker wird heute gendergerecht zur Be­dach­ung. Dachdeckerei wäre doch auch weiblich gewesen, ein -ei als Suffix klingt allerdings wieder despektierlich. Suffix auch. Oh je!
   Weil Verstehen zu mühsam geworden war, liefern Medien heutzutage von vorn herein fertige Gefühle. Wir wollen Vorurteile, schnell. Da wird in Wörtern gelogen, dass es ja kein Zugezogener versteht. Eine OGS wäre ausgeschrieben eine offene Ganztagsschule, ist aber keine Schule sondern Nach­mit­tags­be­treu­ung für Schulkinder, gar nicht ganztags, offen erst recht nicht. Tschechien, sprich Tschechiën, ist ein Nachbarland, Mongolien noch nicht. Die Gesundheitskarte, früher ein schlichtes Versicherungskärtchen, glänzt mit leerem Chip. Deutsche Erfindungen betreffen lieber das Wort als die Sache, etwa beim Sinneswandel von schlichter Technik zu geblähter Technologie.
   Als vor ein paar Tagen die Neue Zürcher Zeitung den Flüchtling als negativ konnotiert besprach, hier, angeregt von der Gesellschaft für deutsche Sprache, schrieb ich einen sarkastischen Kommentar dagegen, der sofort redaktionell wieder verschwand. Ich sehe das wohl zu drastisch, meine hölzernen Sprüche ecken an in der Raspel der Zeit. Süßholz passiert. Inzwischen bin ich, damals heimatvertrieben, ein alter Deutscher mit »Migrationshintergrund ohne eigene Migrationserfahrung«.
   Sprachlich fühle ich mich ausgebremst, überholt, einfach alt. Ich meine, Sprache ist wichtig, sie ist aber nicht so mächtig, wie in 1984 und inzwischen allgemein angenommen. Was einer versteht, was in ihm mitschwingt – »konnotiert« – hängt von ihm ab. Zigeuner werden nicht beliebter, wenn man sie Sinti und Roma nennt.
   Jedenfalls bin ich aus der Gesellschaft für deutsche Sprache ausgetreten.
   Im letzten Heft »Der Sprachdienst« werden »Prof. Dr. Peter Schlobinski, Vorsitzender der Gesellschaft für deutsche Sprache, und Prof. Dr. Michael Tewes, Professor für Angewandte [groß] deutsche [klein] Sprachwissenschaft« zitiert mit: »Sprachliche Gewalt […] kann durch eine veränderte, symmetrischere und herrschaftsfreiere Sprachpraxis gebannt werden. Dies allerdings setzt voraus, dass sprachliches Handeln als gesellschaftliches Handeln begriffen wird und dass diskriminierende Sprachpraxis offengelegt und bewusst gemacht wird.«
   Doch ob es sprachliche oder hoheitliche Gewalt ist, wenn einen die Polizei überholt und »BITTE FOLGEN« rot aufblinkt, wird nicht gesagt. Ist Erziehen sprachliche oder elterliche Gewalt? »Gesellschaftliches Handeln« neigt hier dazu, Meinungen durch Aussprechverbote zu unterdrücken, was nur Überdruss, Überdruck im Gedankenkessel erzeugt und noch lang nicht eine andere Überzeugung. George Orwell klappt nicht, nicht einmal gut gemeint. Wörter sind nicht ihr Inhalt, für mich. Sie benennen ihn, bescheiden, treffend. Verletzen kann ihr Sinn, ihr Inhalt, die Lautstärke, die Situation. Da hilft keine Umbenennung sondern, wenn überhaupt, eine überzeugende inhaltliche Auseinandersetzung.
   Dann bespricht Sascha Michel Polit-Talkshows, die »z. T. unterschiedliche, politisch beladene Schwerpunktsetzungen vor dem Hintergrund kollektiver Diskursmarkierungen« zur Folge haben. – Jetzt weiß ich, warum ich die Talkshows nicht mag.
   Ob der Autor im Sprachdienst 6/15 der Sprache wirklich dient, wenn er über »Tiefenframes« – pardon – schwafelt? »Bei Frames handelt es sich um kognitive Deutungsmuster und Wissensstrukturen, die durch bestimmte Lexeme aktiviert werden können. Frames bestehen dabei – je nach Abstraktionsstufe – einerseits aus freien Leerstellen (Slots) und andererseits aus konkreten Füllungen (Fillers)«, Fußnote dazu: »Mit Klein können Slots argumentativ als Topoi verstanden werden. … «
   Ich könnte unendlich weiterschreiben, von Hintergründen und Bereichen (gibt’s auch A-Reiche?), könnte Blähungen glossieren. Das stinkt mir aber. Genug.
   Für viele kleine Anregungen, große Vorträge und gute Gespräche, früher, danke ich der GfdS.

Für Karin M.

Siehe auch http://blogabissl.blogspot.com/2015/12/liebling-gendergerecht.html
Link hierher: http://j.mp/2IMd73P
=  http://blogabissl.blogspot.com/2015/12/abschied-von-der-sprachgesellschaft.html 

12. Dezember 2015

Case Sensitivity in Windows and Web Sites

Groß- und Kleinbuchstaben in Windows und im Web
MS-Dos and Windows are not case sensitive, so is Apple’s OS. The file system may preserve case, but you can’t have a folder like »Strasse« and another one »strasse« in the same folder.

If you try to make a folder »strasse«,
and there’s a folder »Strasse« in place already,
the systems asks you, if you want to replace the previous »Strasse« folder.
Not so in the Internet, that mostly relies on Unix hosts. And they are case sensitive.
   For example: The address
http://verwaltung.uni-koeln.de/abteilung11/content/frauenfoerderung/index_ger.html
  works fine. If you spell, however, »Frauenfoerderung« with a capital letter F, 

http://verwaltung.uni-koeln.de/abteilung11/content/Frauenfoerderung/index_ger.html
   you end up with an error. »Es wurde eine ungültige Seite angefordert« – you requested an invalid page.

Left: Windows file system. Right: the web server’s file system
as seen in (an old) FTP


To avoid this in singular cases 
make a folder
with a different name
(e.g. strasseklein),
upload it to the server, 

and rename it there (strasse).



My example is www.Sarner-Geschichtsverein.Org (so far, no case sensitivity!) with
www.Sarner-Geschichtsverein.Org/strasse
   This folder houses the actual content I want to show.
A second folder, with capital Strasse,
www.Sarner-Geschichtsverein.Org/Strasse
only contains an immediate rerouting to the »small« folder:
‹meta http-equiv="refresh" content="0; URL=http://Sarner-Geschichtsverein.Org/Strasse/index.htm"›
(the ‹ and › sign are, of course, proper lt and gt signs for HTML).
   Locally the folder (subdirectory) strasse (in the web) is named »strasseklein« in my Windows.

Link to here:
http://blogabissl.blogspot.com/2015/12/case-sensitivity-in-windows-and-web.html

Sex

Zum Thema Sex (für Jugendliche) interviewte vor ein paar Jahren die Neue Zürcher Zeitung eine Historikerin, Susanna Burghartz, Professorin für Geschichte der Renaissance und der Frühen Neuzeit an der Universität Basel: »Moderne Sexualpädagogik – Machbarkeit und Phantasie«. Man frage mich nicht, wie ich jetzt auf den Artikel gekommen bin, ich weiß es ehrlich nicht mehr.
   Frau Burghartz sieht heute eine »starke Immanenz-Orientierung: Man muss heute nicht im Jenseits, sondern in dieser Welt glücklich werden – und zum Glück gehört normativ auch eine erfüllte Sexualität.« Ich selbst bin noch vor dieser Neuorientierung sexualisiert worden, streng katholisch, in Bayern. 
   In Rom steht nach wie vor diese alte Grundeinstellung, hier: »Infolgedessen ist die Sexualität, in welcher sich Mann und Frau durch die den Eheleuten eigenen und vorbehaltenen Akte einander schenken, keineswegs etwas rein Biologisches, sondern betrifft den innersten Kern der menschlichen Person als solcher. Auf wahrhaft menschliche Weise wird sie nur vollzogen, wenn sie in jene Liebe integriert ist, mit der Mann und Frau sich bis zum Tod vorbehaltlos einander verpflichten«.
   Sex also nur in der Ehe, sonst ist’s nachgerade unmenschlich. Um die Frage, ob auch der Kinderwunsch unbedingt dazugehört, wird allerdings eher herumgeeiert. Deutlich bleibt: »Die eheliche Liebe zwischen Mann und Frau steht somit unter der doppelten Forderung der Treue und der Fruchtbarkeit.« Man sehe sich all die ausführlichen Katechisierungen im Original an, voller weiterführender Links, einfach Wahnsinn.
   Für uns in den Fünfzigerjahren kam noch dazu, dass Onanieren wie das Verpassen der Sonntagsmesse eine (zu beichtende) Todsünde war. So klar wurde das in unserer »Sexualpädagogik« nicht angesagt – die war ohnehin wenig ausgespochen –, das war aber gängige Praxis. Man erkannte sie an den Schülern, die am Sonntag fehlten oder dann eben nicht zur Kommunion gingen, weil sie vorher keine Möglichkeit gehabt hatten zu beichten.
   Für die Todsünde bemüht der Katechismus Thomas von Aquin, hier: »Wenn der Wille sich zu etwas entschließt, was der Liebe, durch die der Mensch auf das letzte Ziel hingeordnet wird, in sich widerspricht, ist diese Sünde von ihrem Objekt her tödlich … «. Kennt auch keiner mehr. Wir alle kommen inzwischen in den Himmel. Gott »kann das«.
   Die Folge all dessen ist die bekannte Diskrepanz zwischen heute (und damals) gängiger Praxis und Lehre, um die sich – unter sehr viel anderem – 2015 die Synode zu Ehe und Familie bemüht hat. Hier ein Bericht über das magere Ergebnis, egal, Fazit: »Anders als ein Konzil hat die Synode in der römisch-katholischen Kirche nur beratende Funktion. Der Papst entscheidet, ob und wie er die Vorschläge des Abschlussdokuments in Kirchenrecht umsetzt.«
   Ich meine, dass irdische »Immanenz« des Glücks (pursuit of happiness*) schön und gut ist, allerdings als vorrangiges Ziel einer religiösen Einordnung unter Gott leider widerspricht. Papst Franziskus wird sich da schwertun. Man kann ja schlecht einen Orgasmus als transzendentales Gotteserlebnis deuten.
   Lösen kann das nur weniger Katechismus und mehr persönlicher Kontakt zu Gott in Liebe.
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We hold these truths … the pursuit of Happineſs
*) Die Unabhängigkeitserklärung der USA bezeichnet das Streben nach Glück als vom Schöpfer gegebenes Naturrecht des Menschen, nicht als Richtschnur oder gar Pflicht: »We hold these truths to be self-evident, that all men are created equal, that they are endowed by their Creator with certain unalienable Rights, that among these are Life, Liberty and the pursuit of Happiness«.
   Man darf auch was anderes anstreben!



Links:
• Holger Dörnemanns Blog zur Synode. Papst Franziskus zum Abschluss.
• NZZ-Artikel »Genom-Editierung. Mit dem Korrekturstift ans Erbgut«

Foto Stiftung Haus der Geschichte,
Axel Thünker

Die Frankfuter Neue Presse vom 27. Oktober 2015 zur Synode: »Der Jesuit Dr. Ansgar Wucherpfennig, Rektor der Philosophisch-Theologischen Hochschule Sankt Georgen, ist verhalten optimistisch: „Der Papst hat noch Optionen, weiter zu gehen.“
   Bei seinen Studenten hat Wucherpfennig kein einheitliches Bild feststellen können: Manche seien sehr konservativ, andere progressiv, und entsprechend unterschiedlich nehmen sie die Ergebnisse der Synode auf: „Viele sagen jedoch, die Kirche sollte sich für 25 Jahre komplett in Schweigen hüllen, was Sexualmoral angeht, und einfach nur zuhören.“ Er selbst, so Wucherpfennig, teile diese Meinung absolut.«
   Ich ganz gewiss nicht. Warum nicht? Blödsinn. Warum nicht 27? Und warum korrigiern wir nicht solange alle Moral-Stellen aus der Bibel heraus? Entspannen mal eine Generation lang? Sex as sex can.
 Jede Religion gibt Moral, Handlungsanweisungen. Zum Glauben gehört nicht nur Historisches oder Überirdisches, Glaube muss gelebt werden, und das nicht nur außerhalb des Bettes, vielleicht nur am Sonntag?
 Die Kirche muss arbeiten an ihrer (Sexual-)Moral.
1. Liebe und Verbundenheit in Gott ganz oben. D.h. auch Homosexualität soll gelebt werden. Allerdings nicht exzessiv mit Sex-Reisen nach sonstwo, die übrigens für Heteros genauso verwerflich sind. Ein Abtauchen in Sex verstößt gegen das Maß. Trennt von Gott. Wie ein Rausch.
2. Moral nach Nachhaltigkeitskriterien überarbeiten.
3. Regeln wie das Zwangszölibat der Priester sind nicht religiös, sondern ein Exzess des Katechismus bezw. kirchlichen Rechts. Ebenso lächerliche Spitzfindigkeiten in der Art der Verhütung.
4. Katechismus ist Anleitung per Default, Gott wirkt aber (wenn überhaupt, aber wir glauben ja daran) individuell (Beispiel: Berufung). Optionale »Sondereinstellungen« sind erlaubt. Da allerdings hält sich p. def. die Kirche heraus. 


Link hierher: http://blogabissl.blogspot.com/2015/12/sex.html 

Siehe auch https://blogabissl.blogspot.com/2020/09/das-internet-als-schweinerei.html
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6. Dezember 2015

Gescheite alte Anzeigen

Warum, Papa, fragst du warum?

Micky Maus vom 17. 9. 1970
Neulich leistete ich mir wieder zwei alte Comics aus der Grabbelkiste vor dem Comic-Laden für je ein Euro, Micky-Mäuse aus den Siebzigerjahren, da­mals je eine D-Mark.
   Alles war eine Portion hausbackener – nur die Anzeigen nicht.
   Wo wir heute im »LTB« – siehe links – nur Reklame für Fernsehsendungen finden, von RTL bis Nickelodeon, da ging’s in den Siebzigerjahren zur Sache.
   Von der kürzlich erfolgten Vorstellung des ersten Elektrobusses, redaktionell, bis zu

Anzeigen, die Aktivität fördern und zum Denken anregen.

Geha-Reklame
(Hallo Freunde!
Bilder zum
Vergrößern klicken.)
In der Märklin-Anzeige wird ar­­gu­­men­t­­iert: »Hier zeigt sich eben, wie gut es ist, dass der Strom über einen Mittel­leiter zur Lok kommt. Umpolen … gibt’s bei Märklin nicht.« Ich erinnere mich auch selbst an den Streit zwischen schön zwei­gleisigem Gleichstrom bei Fleischmann (der dann aber keine Kehrschleifen zuließ) und wenig naturgetreuen Schienen für Märklins Wechselstrom (wo Rückwärtsfahrt mit einem Spannungstoß ausgelöst wurde).
   Die Anzeige für Geha-Filzschreiber lobt den »Spitzenformer«: »Automatisch wird die Spitze im Spitzenformer schreibfein geformt.«
   Selbst Fanta lässt einen aktiv werden; dort soll man Felder farbig ausfüllen, und schon erwartet einen eine Überraschung: » … und die Felder mit Kreuzen mit einem roten Stift ausmalen. Was dabei herauskommt, schmeckt gut.«
   Das freut den Techniker und den Schreiber, der gerne noch erklärte, warum. Heute fehlen dafür Interesse und Zeit.
Anzeige mit Sternen – Sheriffstern und Fußnote
Link hierher: http://blogabissl.blogspot.com/2015/12/gescheite-alte-anzeigen.html

PS. Von Stefan Betschon erschien in der NZZ am 8.12.15 (int. 9.12.) eine schöne Glosse zum Thema technisches Spielzeug: »Was Hänschen lernen muss« (online leider nur für Abonnenten). Betschon stört sich an der zu Toytalk in San Franzisko verbundenen Online-Barbie und meint ge­schenk­tech­nisch: »Besser geeignet wären etwa die billigen Minicomputer der britischen Raspberry Pi Foundation«.

Generell zu »meiner« Mikymaus:
  https://blogabissl.blogspot.com/2018/04/ltb.html

Hierher über  
 https://blogabissl.blogspot.com/2015/12/gescheite-alte-anzeigen.html

4. Dezember 2015

Auf der Suche nach den Sarner Jungfrauen

Das ist Sarnthein, wie’s vom dortigen Geschichtsverein gesehen wird. Im Sarntal fühle ich mich zu Hause.
   Jüngst bin ich dem üblen Nachruf auf den Grund gegangen, da seien die Sitten von Alters her verlottert, die Mädchen willig, und – ganz besonders erstaunlich – die Sarner spielten alle bestens Schach.
   Enea Piccolomini, 1405—1464, hat wohl in seiner Jugend ein wenig geblogt, »commntarii« geschrieben. Gebildete Leute nutzten damals eutopaübergreifend (statt HTML) Latein. Also waren’s Commentarii rerum memorabilium quae temporibus suis contigerunt – Gedanken zu denkwürdigen Dingen, die je zu ihrer Zeit passierten. Die schrieb Enea in den Jahren 1462 und 1463. Wie schon Cäsar in seinen commentarii de bello Gallico es pflegte, erzählt Enea von sich bescheiden in dritter Person.
   Veröffentlicht wurden seine Kommentare erst 1584, über ein Jahrhundert nach seinem Tod. Kopiert hat sie ein deutscher Verwandter der Piccolominis in Bonn, Vikar Johannes Gobellino. Der Herausgeber, der Erzbischof von Siena, Francesco Bandini, hat den langen Text zweimal stark »angepasst« und gekürzt, schade. Erst 1984 (bezw. 1883, s.u.) wurden weitere Originalstellen veröffentlicht. Mehr dazu hier.
   Ich wollte ja von meiner Suche schreiben.
   Das Schärfste war die Behauptung, im Sarntal ginge – damals – keine Frau als Jungfrau in die Ehe. Unglaublich! Als Quelle nannte man ein von Luigi Totaro Adolphi 1984 in Mailand herausgegebenes Buch »I commentarii«, ISBN 8845923371, das den Text lateinisch und italienisch übersetzt wiedergibt (etwa hier zu kaufen, hier bei Amazon).
   Doch da stand angeblich nur: » … non c’è fanciulla tra loro cha vada sposa.« – ’s ist kein Mädchen unter ihnen, das zur Hohzeit ginge – möglichst wörtlich gesagt. Also nichts mit geschändeten Jungfrauen, nur ene moderne, eher ablehnende Haltung gegen die Ehe.
   Da hat mich das Suchfieber dann doch gepackt. Ich suchte nach dem Original. Das muss es doch auch im Internet geben. Nach etlichem Gesuche fand ich den gesamten Text des Buches »Pii Secundi pontificis max. Commentarii rerum memorabilium, quae temporibus suis contigerunt, à R.D. Ioanne Gobellino vicario Bonnen. iamdiu compositi, & à R.P.D. Francisco Band. Picolomineo archiepiscopo Senensi ex vetusto originali recogniti. Et Sanctiss. D.N. Gregorio 13. pont. max. dicati, eiusdem Pij dum cardinalis esset« OCR-gelesen, Google-gesponsert, bei Archive.Org. Es lebe Kalifornien!
   Die maschinelle Leserei war allerdings im Gegensatz zum schönen Original, hier links das Titelblatt, saumäßig verstümmelt. Nur mit viel Glück habe ich die Stelle dann gefunden. Hier ein ganz kleiner Ausschnitt zum Selbstentschlüsseln:


•A. ncqtic auri magna fames attcrit:horum opes pccora funt, quaa^^ 
pcr hiemcm tocao nutriunt , hifq. viuunt : intcr quos & homi- 
ncs inuenirc cft,quos nunquam bibifle conftat , quibus pro po- 
tueft cibus la£kcus. Qui procul ab ecclclia dcgunt,corpora hic-' 
mis tcmpore defunda fubdiuo rcponunt,atquc aftrictagelu ia- 
 
• icftatem fcruant : tunc plebanus parochiam circumicns iongu 
funcris ordinem ducit:dicenfq. nouiftima verba , incoemctcriu 
pluralimul cadauera recipit , iUi liccis genis cxequias prolc- 
quuntur.Fehcillinii mortalium fua li bonacognofcentes,hbidi 
ni fr.^cnum ponerent : lcd diu noctuquecommcnfati , ftupra & 
adultcria paftim admutunt,neque virgo apud eos nubit. Vcru 
hanc eccieiiam Aeneas breui dimifit, mcliorcm aflccutus in Ba 
ioaria fanctx Marix Afpaccniis non longe ab Aeno fiuminc» 
quam fibi Lconardus Patauicnfis cpifcopus gcncrc, atque ma- 
gnificcntia xquc nobihs vltrocontulit : httcrifq. ci finc pretio 
ad Stiriam miflis. 

Die Stelle mit den Sarner Jungfrauen habe ich fett hervorgehoben, der entscheidende Satz ist zufällig sogar sauber zu lesen, schon weil keine Zeichen wie ӕ oder ſ (langes s, leicht mit f zu verwechseln) vorkommen: neque virgo apud eos nubit. Das Schuss-s ist rund.
   Also stimmte sie doch, die Story mit den lebenslustigen Sarnerinnen: Keine heiratete als Jungfrau (virgo). Klar war nun auch, dass die Stelle im ersten Buch der zwölf Bücher zu finden ist. Auf Seite 15, hier und zusammengestellt:
LIBER PRIMUS

Sarantanӕ Vallis deſcriptio, & incolarū [incolarum] mores.
   Interim Aeneas Sarantanӕ vallis parochialem eccleſiam faurore Cӕſaris affectus est, quӕ aureos ei ſexaginta quotannis reddidit: ſita in alpibus, quӕ Germaniam ab Italia diſterminat. Ea vallis vno [uno] tantum aditu, eoque altisſſimo, & perdifficili, patens niuibus,& aſüerrima glacie tribus anni partibus obtecta rigeſcit. Loci accolӕ totas hiemes domi ſe continent, ciſtas, & quӕ ſunt opera carpentartiorum ſolerter gentes, quӕ per ӕſtatem Bulzani, Tridentiq. [Tridentique] vendunt: ſcaccorum, ac alearum ludo temporis plurimum terunt, illumq. mirum in modum callent: nullos hos belli metus occupat, neque honoris cupido cruciat, neque auri magna fames atterit; horum opes pecora ſunt, quӕ per hiemem foeœno nutriunt, hiſq. viuunt : inter quos & homines inenuire eſt, quos nunquam bibiſſe conſtar, quibus pro potu eſt cibus lecteus. Qui procul ab eccleſia degunt, corpora hiemis tempore defuncta ſub diuo reponunt, atque aſtricta gelu in ӕſtatem feruant : tunc plebanus parochiam circumiens longū funeris ordinem ducit : dicenſ q. nouiſſima verba, in cœmenteriū prura ſimul cadauera recipit, illis ſiccis genis exequias froſequuntur. Feliciſſimi mortalium ſua ſi bona cognoſcentes libidi ni frӕnum ponerent : ſed diu noctuque commenſati, ſtupra & adulteria paſſim admittunt, neque virgo apud eos nubit. Verū hanc eccleſiam Aeneas breui dimiſit, meliorem affecutus [aſſecutus?] in Baioaria ſabctӕ Mariӕ Aſpacenſis non longe ab Aeno flumin, quam ſibi Leonardus Patauienſis epiſopus genere, atque magnificentia ӕque nobilis vltro [ulto] contulit : litteriſq. ei ſine pretio ad Stiriam miſſis.

ERSTES BUCH

Das Sarntal (Sarantanae Vallis) und die Sitten seiner Einwohner

   Inzwischen bekam Enea durch Vermittlung des Kaisers die Pfarrei im Sarntal, die ihm jährlich sechzig  Gulden einbrachte. Gelegen in dem Teil der Alpen, der Deutschland von Italien trennt. Dieses Tal ist nur durch ein einziges, sehr hochgelegenes und steil ansteigendes Tal zugänglich, drei Viertel des Jahres von hohem Schnee und dickem Eis bedeckt. Die Bewohner halten sich den ganzen Winter daheim auf, fertigen mit viel Geschick Kisten und andere Holzgegenstände an, die sie dann im Sommer in Bozen (Bulzani) und Trient (Tridenti) verkaufen. Sehr viel Zeit verbringen sie mit Schach und Würfelspielen, was sie wunderbar spielen. Sie haben keine Angst vor Krieg, kein Ehrgeiz quält sie, und auch von der Geldgier sind sie verschont. Ihr Reichtum sind ihre Herden, die sie im Winter mit Heu nähren und von denen sie leben; man kann hier noch Menschen finden, die noch nie Alkohol getrunken haben: Statt zu trinken verzehren sie Milchprodukte. Diejenigen, die weit weg von der Kirche wohnen, legen die Körper der im Winter Verstorbenen einfach ins Freie und konservieren sie mit der Eiseskälte bis in den Sommer; dann geht der Pfarrer in seiner Pfarrei herum und führt einen langen Leichenzug an, spricht die letzten Worte auf dem Friedhof und beerdigt mehrere gleichzeitig: Das Volk begeht diese Beerdigung trockenen Auges. Sie könnten die glücklichsten der Sterblichen sein, wenn sie ihr Glück erkennen und ihre Gelüste zügeln könnten. So aber geben sie sich Tag und Nacht Vergnügungen hin, frönen Vergewaltigungen und Ehebruch, und kein Mädchen heiratet als Jnngfrau. Enea hat diese Pfarre bald wieder aufgegeben und bekam eine bessere in Bayern, die der heiligen Maria in Aspach, nicht weit vom Inn, die ihm Leonhard, der Passauer (Passauensis) Bischof, ein Mann von edler Abstammung und großartigem Charakter, von sich aus verlieh. Er sandte Enea die Berufung ohne alle Nebenkosten nach Steyr (Stiriam).

Wie aber erklärt sich Piccolominis krass divergierende Beuteilung der Sarner – anfangs sehr wohlwollend, dann fast ordinär ablehnend?
   »I Commentarii, quindi, sono un’opera affascinante per le variazioni di prospettiva«, sie faszinieren durch die Variationen des Gesichtspunkts, meint Stefan Bauer.Viel ist abgeschrieben, wobei er es mit den Zitaten nicht so genau genommen hat – wie manche Doktoranden heute. »Possiamo valutare Piccolomini, per quanto riguarda questo testo, come un informatore ambivalente – a volte affidabile, altre meno. Commette errori quando descrive eventi sulla base del ricordo personale; inoltre altera la prospettiva di alcune fonti, per convincere i lettori dei suoi argomenti (cfr. l’introduzione di Wagendorfer, cit., pp. XXVII-XXX).« Schon damals: Nicht alles, was geschrieben steht, ist glaubwürdig, non tutte le cose che sono state scritte sono degne di fede.
   Weiter meint Bauer: »I Commentarii sono uno dei testi più importanti della letteratura umanistica e costituiscono una fonte di straordinario interesse per la storia italiana ed europea della metà del Quattrocento.« Die Kommentare gehören zu den wichtigsten Texten der humanistischen Literatur. Sie sind eine außerordentlich interessante Quelle für die italienische und europäische Geschichte des fünfzehnten Jahrhunderts.
   Böhmen (Boemia) hat ihn besonders interessiert.

Interessant auch der Hinweis auf die zunächst unterdrückten Passagen hier: »Gelehrte zwischen Humanismus und Reformation: Kontexte der ... «, herausgegeben von Martin Wallraff:
Übrigens: Das kleine u mit Überstrich, ū, statt um scheint eine Sparschreibung zu sein. Dazu der Fachmann Hannes Obermair: »u mit überstrich ist unspezifisch und kürzt eigentlich nur den Nasal, also entweder un oder um, ganz kontextbezogen (ceteru[m] bzw. u[n]de...)« – Danke, Hannes!

Soviel zu päpstlichem Sensationsjournalismus, postfaktisch …

Vgl. »Alte Texte bearbeiten«,
»Geschichte des langen ſ«,
»Auf der Suche nach dem langen ſ«,
»Das runde r«,
»Mild auf neue Rechtschreibung ändern« u.v.a.m.

 Link hierher:
http://blogabissl.blogspot.com/2015/12/auf-der-suche-nach-den-sarner-jungfrauen.html

 Auch auf:
 http://sarnerblog.blogspot.de/2017/02/auf-der-suche-nach-den-sarner-jungfrauen.html

1. Dezember 2015

Assad

Ich muss mal wieder kurz luftholen. Oder umgekehrt: gegen den Stachel löcken.
   Gleich zur Wikipedia: »Baschar Hafiz al-Assad (arabisch ‏بشار حافظ الأسد‎, DMG Baššār Ḥāfiẓ al-Asad; * 11. September 1965 in Damaskus) ist seit dem Jahr 2000 Generalsekretär der Baath-Partei und Staatspräsident Syriens. Wie weite Teile der syrischen Elite gehört Assad der Religionsgemeinschaft der Alawiten an.«

8. Novemer 2012. Assad über den Bürgerkrieg:
 
Interviews mit Assad sind selten, lang, und wohl immer von der russischen Nachrichtenagentur RT. Das neueste scheint’s ist vom 15. September (lang, schlecht lippensynchron). Nur um einen Eindruck zu geben.

Über die Zeit nach Assads Machtübernahme liest man: »Für die syrischen Intellektuellen begann Anfang 2001 eine Zeit ungekannter Redefreiheit, die als Damaszener Frühling bekannt wurde. Die Forderungen nach demokratischen Reformen breiteten sich allerdings unerwartet schnell aus und nahmen rapide an Vehemenz zu, so dass auf den Damaszener Frühling der „Damaszener Winter“ im Januar 2002 folgte, während dessen die neuen Freiheiten größtenteils wieder eingeschränkt wurden.«
   Zehn Jahre später. »Am 31. Januar 2011 äußerte sich Assad im Rahmen eines seiner seltenen Interviews mit westlichen Medien im Wall Street Journal zu den Protesten in Ägypten und forderte ein Umdenken unter den arabischen Machthabern hin zu mehr Liberalität. Er bekräftigte dabei schon früher vorgetragene Thesen von der Rückständigkeit Syriens bezüglich des zivilgesellschaftlichen Diskurses und verteidigte die Zurückhaltung seiner Regierung gegenüber vollen demokratischen Rechten für sein Volk. Gleichzeitig konstatierte er, dass ein Übergreifen des Arabischen Frühlings auf Syrien aufgrund der dort anders liegenden Verhältnisse unwahrscheinlich sei. Nachdem Assad anfangs Recht zu behalten schien, griffen die Proteste ab Mitte März 2011 jedoch auf Syrien über und wurden von Sicherheitskräften mit zunehmender Gewalt beantwortet.«
   Von da an ging es in Syrien bergab. 
   Und vorher? Sein Vater »Hafiz al-Assad (arabisch ‏حافظ الأسد‎, DMG Ḥāfiẓ al-Asad, auch Hafis el Assad; * 6. Oktober 1930 in Kardaha; † 10. Juni 2000 in Damaskus)« regierte Syrien von 1970 bis 2000.
   Seit über vierzig Jahren hat sich hier keiner um Syrien gekümmert, wie auch nicht um Saudi-Arabien, Persien und so weiter. Gebildet, wie wir uns haben, halten wir’s mit Goethe, gutbürgerlich:
   Nichts Bessers weiß ich mir an Sonn- und Feiertagen
   Als ein Gespräch von Krieg und Kriegsgeschrei,
   Wenn hinten, weit, in der Türkei,
    Die Völker aufeinander schlagen.
    Man steht am Fenster, trinkt sein Gläschen aus
    Und sieht den Fluß hinab die bunten Schiffe gleiten;
    Dann kehrt man abends froh nach Haus,
    Und segnet Fried und Friedenszeiten.
Bis dann die Flüchtlinge kamen, zu uns, unvorhergesehen von »Dublin«, von Gewalt und Bomben vertrieben. Schnell sollen wir in Syrien gegen den IS helfen, noch präziser dort Bomben abzuladen und Drohnen zu fliegen. Der Spiegel: »Bei ihrem geplanten Anti-Terror-Einsatz in Syrien hat die Bundesregierung eine Kooperation mit Truppen unter dem Kommando des syrischen Machthabers Baschar al-Assad ausgeschlossen. ›Jetzt wird es keine Zusammenarbeit mit Assad geben und auch keine Zusammenarbeit mit Truppen unter Assad‹, sagte der Sprecher des Verteidigungsministeriums, Jens Flosdorff, in Berlin. Das habe auch Ministerin Ursula von der Leyen klargemacht. Die CDU-Politikerin hatte im ZDF gesagt, es werde keine Zukunft mit Assad geben, aber es gebe Teile der Truppen in Syrien, die man ›hier auch nehmen kann‹. Flosdorff präzisierte das nun und erläuterte, der totale Zerfall der Staatlichkeit von Syrien solle vermieden werden.«

Mir scheint, die Vorurteile gegen Assad sind jüngerer Natur. Das macht sie inzwischen zu  Vorurteilen. So richtig sagen kann keiner, warum der Mann von 2000 bis 2011 o.k. war und dann nicht mehr. Ich vermute, dass die Revolution den gegenseitigen Hass und die Mittel gegeneinander hat eskalieren lassen, zur Schuld aller.
   Weil ich aber Bombardierungen generell, auf jeden Fall ohne eigene Bodentruppen, für ein Verbrechen halte, so sehe ich nun auch mich schuldig dafür werden. Ob die Vereinten Nationen Krieg in Syrien sanktionieren oder nicht, mag sonderbarerweise völkerrechtlich relevant sein, macht für die Sache für mich aber nicht gerechter, nicht friedlicher, nicht erlaubter oder christlicher. Da halte ich’s schon eher mit den Realpolitikern in Moskau.
   Und wenn schon Krieg, dann sollten die Europäer eine Fremdenlegion aus Syrern und anderen Freiwilligen aufbauen, und im Nahen Osten eingreifen, zuallererst für Palästina – wo es genug UNO-Resolutionen »zum Machholen« gibt, angeblich über dreißig. Oder?

PS. Wie kann ein russisches Flugzeug über der Türkei abgeschossen werden, die abspringenden Piloten dann aber in Syrien herunterkommen? Mehr dazu wieder in der Wikipedia. – Der man übrigens Geld und Mitarbeit spenden sollte, bitte!

Siehe auch:  http://blogabissl.blogspot.com/2015/10/putins-plotzliche-politik.html

Dieser Blog: http://blogabissl.blogspot.com/2015/12/assad.html