26. Juni 2016

Brexit und EU

Brexit. Überall überaschte Mienen, auch bei mir. Politiker verzapfen noch mehr leere Worte, jeder muss sich äußern, ich also auch … 
   Ich bin eigentlich traurig, weil’s zu schön war, um wahr gewesen zu sein. Die Europäische Union hatte sich 1992 vorgenommen »den Prozess der Schaffung einer immer engeren Union der Völker Europas [...] weiterzuführen«. Doch schon diese Formulierung war ein Kompromiss gewesen (laut Wikipedia) und klärt vor allem nicht, was mit »eng« gemeint ist. Das mag politisch diskutiert worden sein, in und mit den Völkern aber nicht. Die »Elite« entschied, und das sind heute Interessenvertreter, Karrierepolitiker, Gutmenschen und vielleicht weniger aufs allgemeine Wohl Schauende, doch durchaus, meine ich, Wohlmeinende. 
   Wir haben ein Schönwetterbündnis gelebt. Die eigenen Regeln wurden bei erster Gelegenheit gerade von den entscheidenden Ländern über Bord geworfen, etwa beim Staatsschuldenmachen oder der Nicht-Beistands-Regel. Das war nett, menschlich, pragmatisch, doch kraftlos und weder demokratisch noch vertrauensbildend. Zuletzt zeigte sich, dass die abgebauten Schlagbäume und Grenzkontrollen einem Ansturm von Flüchtlingen nichts entgegenzusetzen hatten, nachdem bis dahin die Fiktion »wir sind kein Einwanderungsland« ungeprüft immer weitergeschriebn worden war, wir aber »Deutschland am Hindukusch« vergeblich verteidigt hatten. Wozu gibt es deutsche Konsulate? Wieviele Menschen hätten wir retten können, ohne unser bequemes »Schengen«!
   Die Krise der EU liegt aber, wie sie selbst aus Brüssel heraus betont, nicht an ihr, sondern an den 28, bald 27, beteiligten Ländern, die sich »herausnehmen«, was ihnen passt. Verträge braucht man nur in Krisenzeiten, dann aber sollten sie da sein, sollten stehen, doch das sind sie nicht oder sie halten nicht. Der Rest bleiben Versprechungen, Beschäftigung mit Unkritischem, leicht Konsensfähigem, oder beinahe unter der Wahrnehmung Bleibendem wie Gurkenkrümmung, Glühlampen, Glykosat.
Ungarnaufstand 1956. Aus einem Youtube-Neunmintenfilm
   Vor allem der Friede in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg, immerhin schon (2016-1945=) 71 Jahre lang, wird der EU (1992, 24 Amtssprachen) zugutegeschrieben. Man mag das tun. Beides, Friede und EU, sind (fast) Tatsache, ob sie kausal zusammenhängen, wird man nicht beweisen, nur meinen können. Zum Frieden hat vieles beigetragen, außerdem war da nicht immer Friede in Europa. Gut, dass man Krieg – jedenfalls als Nicht-Beteiligter – schnell wieder vergißt. Die Aufstände etwa in Ungarn 1956, die kriegerische Aufspaltung von Jugoslawien, die meines Wissens nicht von den »Europäern«, sondern von den USA und den Vereinten Nationen gelöst worden ist, inzwischen der Krieg im Donbass. Kein Weltkrieg, aber bewaffneter, kriegerischer Streit, dem die EU nichts als nicht zielführende aber für alle schmerzliche Wirtschaftssanktionen entgegenzusetzen hat, und den die OSZE (57 Teilnehmerstaaten inkl. Russland) mit »knapp 600« Unbewaffneten »beobachtet«. 
   Der Friede in Europa war lange Zeit durch den Ostblock gefährdet. Dagegen stand die Nato samt Amerika, dagegen stand die deutsche Wiederaufrüstung, die atomare Abschreckung, um die gerungen wurde, wie um nichts Jahre später in der EU. Ich meine: Die EU schmückt sich als alleinige »Friedensstifterin« mit fremden Federn.
   Doch ob wir dank EU oder nicht Friede haben, ist schließlich egal. Gut, dass wir Frieden haben! Lassen wir ihn uns nicht gefährden durch irreale Worthülsenpolitik, Sticheleien gegen jeden, der’s in seinem »Reich« anders hält als wir es für richtig halten, und durch »Aufklärung- und Ausbildungseinsätze« in aller Welt. Keine Waffen in Krisengebiete? – Skrupellos wurde dieses amtlich hochgehaltene Prinzip über Bord geworfen (wie immer ohne den »Souverän« zu fragen). Doch auch das hat nichts mit der EU zu tun; nur mit unserem Land.  

• Leitartikel: Eric Gujer, NZZ: »Ein Kontinent überschätzt sich«

»Ein Rückbau der EU wäre sinnvoll« – Interview mit dem britisch-schweizerischen Historiker Oliver Zimmer, Oxford

Wie wär’s mit dem »Europäischen Wirtschaftsraum« EWR? – regt der Präsident des Efta-Gerichtshofs an. Hier mehr zum »Norwegen-Modell« und anderen Optionen.

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