10. September 2017

Eine Moralfrage

Das Folgende ist beinahe eine religiöse Frage, eine Frage nach Sitte und Einstellung. Dergleichen Fragen sind, so empfinde ich das, heutzutage eher Tabu. Desto unterschwelliger mögen sie auf Lösung lauern. Da will ich mich einmal mutig vorwagen.
   In der Schule vor sechzig Jahren, in Bayern, lernte ich Katechismus. Gebeichtet wurde dann immer am Samstagnachmittag anhand eines »Beichtspiegels«, einer Liste gängiger Sünden zum Selbstabfragen. Da ist bei mir unwillkürlich manches bis heute hängen geblieben. Wohlan:
   Gesündigt hat man schon damals in »Gedanken, Worten und Werken«. Tut man das immer noch? Oder gilt inzwischen nur mehr Kant: Erlaubt ist, bittesehr, was keinem anderen schadet – locker zusammengefasst. Das schließt praktisch alles aus, was man mit sich selbst anstellt, vom Rauchen bis zum Sex. Auf jeden Fall sind damit »die Gedanken frei«, immateriell, in ihrer eigenen Welt. Gerade da will ich einmal nachbohren.
   Es zeigt sich, dass heute (noch?) gesellschaftlich den Gedanken durchaus Grenzen gesetzt werden. Schon das Entstehen gewisser Gedanken wird versucht zu verhindern. Das Strafrecht soll verhindern, dass Gedanken gewisse Triebe erst gar nicht entstehen lassen. Wir durften damals im Internat keine Illustrierten haben. Heute sind nach § 184b des Strafgesetzbuches kinderpornografische Bilder am PC verboten, sogar schon die Suche danach, bloßes Googeln. Das Ziel solcher Verbote mag sein, schädliche Handlungen gegen andere Menschen erst gar nicht aufkommen zu lassen. Was man nicht denken kann oder darf, das gibt’s nicht, seit »1984«. Schlimmes ist ganz undenkar. Mehr dazu etwa hier.
   Was »schlimm« ist, hat sich allerdings über die Jahrzehnte gewandelt. Bis 1994 war gleichgeschlechtlicher Sex nach § 175 verboten, noch früher gab es in vielen Ländern Rassengesetze, etwa das Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre. Eine Chronologie des Wandels solcher Gesetze zeigt die Wikipedia am Beispiel USA. Ich versuche diese Entwicklungen ohne moralische Beurteilung aus heutiger Sicht zu sehen, sine ira et studio. Sonst bleibt man an Schlimmen hängen oder übesieht anderes, vor allem kommt man nicht zu den Gründen, den Gedankengängen, die jeweils dazu führten. Moralische Bewertungen historischer Ereignisse heißt einfach das Böse, sozusagen den Teufel, dafür verantwortlich zu machen.
   Politische Korrektheit mag uns heute verbieten, Unterschiede zwischen Gruppen von Menschen zu sehen, von Frau und Mann, von Vierzig- und Sechzigjährigen ohnehin, denn da gibt’s noch keine Lobby, die anteilsmäßige Besetzung von Jobs fordert. Ich vermute, dass die ganze erste Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts mit Faschismus, Rassismus und Kriegen uns so teilweise unerklärt und unverständlich bleibt. Heutzutage ganz Afrika.
   Genug. Mal sehen, ob das wer liest …

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